Pressedokumentation

Stellungnahme zur Initiative
Interessengemeinschaft Starke Volksschule Kanton Bern

Weshalb braucht es diese Volksinitiative?
Das Stimmvolk hat 2006 einer Harmonisierung des Schulwesens im Bereich des Schuleintrittsalters und der Schulpflicht, der Dauer und Ziele der Bildungsstufen und von deren Übergängen sowie der Anerkennung von Abschlüssen zugestimmt (Bildungsartikel, §62 Abs. 4 der Bundesverfassung). Doch diese sah lediglich geringfügige kantonale Angleichungen vor.

Statt die Lehrpläne der Kantone im Sinne einer Harmonisierung zusammenzufassen, wurde dann von der Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz ohne demokratische Legitimation ein neuer Lehrplan mit neuen Inhalten, Lehrmitteln und einem neuen Lern- und Unterrichtsverständnis geschaffen.

Am Volk vorbei soll nun eine gesamtschweizerische Schulreform mit weit reichenden Konsequenzen eingeführt werden. Diese umstrittene Reform überfordert insbesondere schulisch schwächere Kinder, womit die Chancengerechtigkeit in unserer Volksschule gefährdet ist.

Die Einführung des Lehrplan 21 verursacht im Kanton Bern jährlich wiederkehrende Kosten von über 30 Millionen Steuerfranken ohne pädagogischen Mehrwert!
Die Umschulung der Lehrpersonen, neue Lehrmittel, der Aufbau eines umfassenden Controllings und die Erarbeitung standardisierter Tests verschlingen Millionen von zusätzlichen Steuerfranken. Ebenso führt dies zu viel Unruhe und Selbstbeschäftigung für Schulleitungen und Lehrerschaft. Wir vertreten die Ansicht, dass bei solch grundlegenden Änderungen des Lehrplans unserer Volksschule die Bevölkerung mitreden muss. Wir Stimmbürger sollen mitentscheiden können, welche Schule und welchen Lehrplan wir für unsere Kinder wollen. Diese Entscheide dürfen wir nicht mehr länger dem Erziehungsdirektor alleine überlassen.

Deshalb verlangt die Initiative, im Volksschulgesetz des Kantons Bern die Artikel 12, 12a und Art. 74 zu ändern: Der Regierungsrat bleibt weiterhin zuständig für die Erarbeitung neuer Lehrpläne. Der Erlass und die Einführung bedürfen jedoch zu ihrer Anwendbarkeit der Genehmigung durch den Grossen Rat. Der Grossratsbeschluss unterliegt dem fakultativen Referendum.
Die Übergangsbestimmung verlangt, dass Lehrpläne, welche auf einen Zeitpunkt nach dem
1. Januar 2017 in Kraft gesetzt werden, nachträglich durch den Grossen Rat genehmigt werden müssen. Das bedeutet, dass der Grosse Rat und ev. die Bürgerinnen und Bürger in letzter Instanz rückwirkend über die definitive Einführung des Lehrplan 21 beschliessen sollen.

Diese Volksinitiative garantiert sowohl die demokratische Mitsprache des Grossen Rates sowie diejenige der Berner Bevölkerung in wichtigen Fragen zur Aufgabe der Schule.

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Stellungnahme zur Initiative
Patrick Freudiger, Rechtsanwalt

Mehr demokratische Mitsprache beim Lehrplan

Im Schulalltag haben Lehrpläne unbestrittenermassen eine herausragende Bedeutung. Umso erstaunlicher ist, wie wenig Gewicht der rechtsetzenden Gewalt heute bei Erlass und Einführung von Lehrplänen zukommt: Den Lehrplan 21 z.B. hat die Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz erarbeitet. Erlass und Einführung – faktisch ist es eine Übernahme in Globo – erfolgen im Kanton Bern dann durch den Regierungsrat bzw. die Erziehungsdirektion. Die französischsprachige Schweiz (und damit in Teilen auch der Kanton Bern) hat in der Westschweizer Schulvereinbarung sogar die Kompetenz zu Erlass und Einführung von Lehrplänen an eine interkantonale Behörde abgetreten. Kantonale Kompetenzen verbleiben hier noch bei Lehrplanteilen.

Die vorliegende Initiative will die Mitsprache des Parlaments und des Volkes in Lehrplanangelegenheiten erweitern. Es wird darauf verzichtet, Vorgaben für die inhaltliche Ausgestaltung der Lehrpläne oder Lehrplanteile zu machen. Es geht einzig um eine Zuständigkeitsfrage. Konkret sind folgende Änderungen beabsichtigt:

Art. 12 Abs. 1 (Lehrpläne für deutschsprachige Volksschule):
Gestrichen werden soll die explizit genannte Berücksichtigung der interkantonalen Zusammenarbeit. Soweit eine solche Pflicht zur Berücksichtigung besteht, ergibt sie sich bereits aus übergeordnetem Recht (Bundesverfassung, HarmoS-Konkordat). Insoweit ist ein Verweis überflüssig oder könnte zur Annahme verleiten, der Kanton Bern wolle mehr harmonisieren als erforderlich.

Art. 12 Abs. 4 (Deutschschweizer Volksschule), Art. 12a Abs. 3 (Westschweiz):
Deutschschweiz: Die bestehenden Zuständigkeiten werden nicht von Grund auf geändert. In der Hauptsache bleibt der Erlass von Lehrplänen und Lehrplanteilen eine Angelegenheit der Exekutive. Soweit es sich nicht um Pläne von untergeordneter Tragweite handelt, sollen sie aber künftig zu ihrer Anwendbarkeit der Genehmigung durch das Parlament bedürfen. Satz 1 von Abs. 4 verdeutlicht die Bedeutung dieser parlamentarischen Mitwirkung, indem er grundlegend festhält, dass für Erlass und Einführung von Lehrplänen und Lehrplanteilen neu sowohl die Regierung als auch das Parlament zuständig sind. Der Gehalt der bisherigen Abs. 1 und 2, welche einzig die Regierung als zuständige Behörde nennen, wird insoweit eingeschränkt. Lehrplan- und Lehrplanteiländerungen von untergeordneter Bedeutung wird der Regierungsrat aber auch künftig in eigener Regie einführen können. Diese Neuerung ist mit dem HarmoS-Konkordat ohne weiteres vereinbar, letzteres regelt nämlich Fragen der innerkantonalen Zuständigkeit nicht.
Westschweiz: Das Gesagte gilt entsprechend für den französischsprachigen Kantonsteil, hier allerdings zufolge übergeordnetem Konkordatsrecht mit einer Beschränkung auf Lehrplanteile.

Die Initiative will sodann ein Lehrplanreferendum einführen. Gestützt auf Art. 62 Abs. 1 Bst. f KV ist ein Referendum gegen Sachbeschlüsse möglich, wenn ein Gesetz dies vorsieht. Fakultative Sachbeschlussreferenden sind z.T. bereits heute im Gesetz vorgesehen: Beispielsweise wenn gemäss grossrätlichem Beschluss die Steueranlage 3.26 übersteigt (Art. 2 Abs. 4 StG) oder bei der Anordnung von Gemeindezusammenschlüssen durch den Grossen Rat (Art. 4k Abs. 1 GG). Die mit Art. 12 Abs. 4 und Art. 12a Abs. 3 neu geforderten Genehmigungsbeschlüsse des Grossen Rates unterstehen also dem fakultativen Referendum. In der Deutschschweiz gilt diese Referendumsmöglichkeit für Lehrpläne und Lehrplanteile, im französischsprachigen Kantonsteil immerhin für Lehrplanteile.

Art. 12 Abs. 5 (Deutschschweiz), Art. 12a Abs. 4 (Westschweiz):
Nachdem Erlass und Einführung von Lehrplänen und Lehrplanteilen neu im Grundsatz eine gemeinsame Zuständigkeit von Regierungsrat und Grossem Rat darstellen und darüber hinaus dem fakultativen Referendum unterstehen, sind nach Auffassung des Komitees auch interkantonale Vereinbarungen betreffend Lehrpläne und Lehrplanteile selbst bei Ratifikation dem fakultativen Referendum zu unterstellen. Das ergibt sich an sich bereits aus Art. 62 Abs. 1 Bst. b KV. Im Sinne einer Konkretisierung und Hervorhebung erscheint uns die Passage aber trotzdem sinnvoll.

Art. 74 Abs. 2:
Neu kann und soll der Regierungsrat die Kompetenz zum Erlass von Lehrplänen und Lehrplanteilen (soweit er noch zuständig ist) nicht mehr an die Direktion delegieren. Die bisherige Blankoermächtigung an die Erziehungsdirektion hätte durch die vorstehenden Änderungen ohnehin nur noch eingeschränkte Tragweite.

Inkrafttreten und Übergangsbestimmung zum Lehrplan 21:
Die Gesetzesinitiative soll sofort nach ihrer Annahme durch das Volk in Kraft treten. Was geschieht dann mit dem Lehrplan 21? Gemäss den Ausführungen der Erziehungsdirektion ist eine gestaffelte Inkraftsetzung des Lehrplan 21 ab dem Jahr 2018 geplant. In der Übergangsbestimmung sieht die Initiative nun vor, dass grundsätzlich auch solche Lehrpläne und Lehrplanteile noch (nachträglich) einer grossrätlichen Genehmigung bedürfen, die vor Inkrafttreten der Änderungen in Art. 12 VSG erlassen worden sind und auf einen Zeitpunkt nach 1. Januar 2017 eingeführt werden. Das ist beim Lehrplan 21 nach dem Gesagten der Fall. Gegen den damit erforderlichen grossrätlichen Genehmigungsbeschluss zum Lehrplan 21 wird ein fakultatives Referendum ergriffen werden können. Heute haben wir den 18. Januar 2016 – bei einer beförderlichen Behandlung der zustande gekommenen Initiative wird sich eine allfällige „Rückwirkung“ in Grenzen halten und mässig sein, soweit vorliegend überhaupt von einer (echten) Rückwirkung gesprochen werden kann. Denn es ist in Erinnerung zu rufen, dass die vorliegende Übergangsbestimmung Zuständigkeitsfragen regelt und nicht – wie bei problematischen echten Rückwirkungen regelmässig der Fall – Eingriffe in geschützte Rechtsgüter.

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Stellungnahme zur Initiative aus der Sicht von Eltern

Rahel Gafner, Mutter, Mitglied Initiativkomitee


Zu Beginn möchte ich auf ein treffendes Zitat von Prof. Dr. Walter Herzog hinweisen:
„In einer demokratischen Gesellschaft mit einem öffentlichen Bildungswesen hätte ein Lehrplan die Funktion, die Verständigung zwischen Öffentlichkeit und Schule zu gewährleisten. Ein Lehrplan würde in groben Zügen festlegen, welche Aufgaben die Bürgerinnen und Bürger der Schule zuweisen und welche Leistungen sie von ihr erwarten.“ Zitat Ende.

Diese Aussage beschreibt sehr genau, was viele Eltern und engagierte Bürger erwarten. Sie wollen früh genug informiert und einbezogen werden, wenn in der Volksschule grosse Veränderungen geplant werden.

In einem direktdemokratischen Land ist es selbstverständlich, dass wir Bürgerinnen und Bürger in wichtigen Fragen zur Aufgabe der Volksschule mitreden. Schliesslich sind wir es, welche für die immensen Kosten aufkommen müssen. Unsere Kinder sind direkt betroffen, wenn in der Volksschule Reformen durchgeführt werden, die nicht ihren Bedürfnissen entsprechen. Insbesondere wir Eltern verlangen eine ehrliche und transparente Information, wenn in unserer Volksschule ein solch schwerwiegender Paradigmenwechsel vollzogen wird!

Es ist deshalb sehr befremdlich, dass der Lehrplan 21 von Anfang an unter Geheimhaltung ausgearbeitet wurde. Selbst die Lehrerverbände kritisieren die anschliessend nur auf Verbandesebene durchgeführte und viel zu kurze Vernehmlassung.

Die Bevölkerung wurde mit Aussagen vertröstet wie: Bei uns im Kanton Bern ändert sich mit dem Lehrplan 21 praktisch nichts, die meisten Veränderungen sind bei uns bereits umgesetzt, die Lehrpersonen sind zufrieden mit dem neuen Lehrplan und freuen sich auf seine Einführung. Wenn wir Eltern die Lehrpersonen auf den Lehrplan 21 ansprechen, wird schnell klar, dass diese noch gar nicht darüber informiert wurden, was sich mit der Einführung des neuen Lehrplans alles verändern wird.

Die Öffentlichkeit wurde nie darüber informiert,
· dass der Lehrplan 21 die Jahrgangsziele abschafft,
· dass nur noch mit kompetenzorientierten Lehrmitteln unterrichtet werden darf, denen meist der „rote Faden“ fehlt,
· dass zunehmend individualisierter und selbstgesteuerter Unterricht angestrebt wird,
· dass die Lehrpersonen ihre zentrale Bedeutung verlieren und zu Lernbegleitern degradiert werden,
· dass sich die Schulen periodisch externen Tests unterziehen müssen, was in anderen Ländern bereits zu einer massiven Verschlechterung der Unterrichtsqualität geführt hat.

Dazu möchte ich gerne zwei Zitate erwähnen:

“Die Lehrfunktion der Schule wird zugunsten Lernbegleitung und dem Lerncoaching zurückgeführt. Der Akzent verschiebt sich von der Vermittlung auf die Selbstorganisation.“
Schweizer Lehrplanforscher Prof. Dr. Rudolf Künzli

“Die Botschaft ist ganz eindeutig, dass Lernende eigene Lernwege gehen sollen. Ich glaube, das ist die grosse Änderung.“
Jürg Michel, Beurteilungsspezialist im Umsetzungsteam Lehrplan 21

Etliche Veränderungen, die der Lehrplan 21 mit sich bringt, sind in unseren Schulen zum Teil schon umgesetzt. Dies ist unter anderem die Folge davon, dass die Pädagogische Hochschule Bern die angehenden Lehrkräfte bereits „Lehrplan 21-konform“ ausbildet und auch die Weiterbildungsangebote entsprechend angepasst wurden.

Es erstaunt deshalb nicht, wenn von Schulen berichtet wird, die bereits Wochenplanunterricht eingeführt haben. Viele Eltern klagen, dass mehrheitlich jüngere Kinder damit überfordert sind und Unterstützung brauchen. Bei Schulbesuchen fällt auf, dass zum Teil die Schülerpulte bewusst so angeordnet werden, dass die Kinder vom Lehrerpult wegblicken. Auf Nachfrage wird erklärt, dies sei nötig, damit die Kinder nicht so sehr auf die Lehrperson ausgerichtet seien.

Der zunehmend selbstorganisierte und individualisierte Unterricht ist oft mit Unruhe und Lärm verbunden. Pamir Gehörschütze, wie man sie aus dem Militär kennt, schaffen hier Abhilfe...

Solche Beispiele zeigen, wie von Anfang an Fakten geschaffen wurden, um einen Abbruch der Einführung des Lehrplan 21 zu erschweren.

Der Schweizerische Lehrerverband LCH hat sich im Jahr 2013 folgendermassen geäussert:
„Die Politik behauptet, der Lehrplan sei „keine Schulreform“ und „kein Paradigmenwechsel“. Genau das ist er aber: Er ist Teil eines Programms zur grundlegenden Umgestaltung der Steuerung im Bildungswesen. ... Dieser Paradigmenwechsel wird die Schule, den Unterricht und den Lehrerberuf massiv verändern.“

Wenn die Volksschule derart umgestaltet wird, hat dies unweigerlich auch Auswirkungen auf unsere Gesellschaft.

Deshalb darf der Lehrplan 21 nicht am Volk vorbei eingeführt werden!


Ich schliesse mit einem Zitat von K. Liessmann aus seinem Buch „Geisterstunde“:

„Jungen Menschen viel Zeit einzuräumen, damit sie das Rad noch einmal erfinden, mag gut klingen,
in Wirklichkeit wird ihnen damit Lebenszeit gestohlen.“


Stellungnahme zur Initiative aus Sicht eines Reallehrers

Markus Dähler, Reallehrer NDS, Mitglied Initiativkomitee


„Nichts ist so beständig wie der Wandel” (Heraklit von Ephesus)
Veränderungen prägen und begleiten unser Leben und unser Handeln.

Während meinem bald 39jährigen Berufsleben habe ich verschiedene Lehrplanrevisionen erlebt. Aus einem handlichen Büchlein ist ein dicker Ringordner geworden. Aus Inhalten wurden Lernziele. Immer hat eine Lehrplan-Revision Entwicklungen in der veränderten Schullandschaft aufgenommen und als verbindliche Grundlage definiert.
Alle bisherigen Reformen haben mich weitergebracht, neugierig gemacht und haben mir die Gewissheit vermittelt, den Anforderungen meines Berufes gewachsen zu sein.

Beim Lehrplan 21 dagegen weiss ich nicht, was mich erwarten wird. In der methodisch-didaktischen Weiterbildung zum neuen Fremdsprachenunterricht im Rahmen des Passepartout-Projektes habe ich eine erste Kostprobe davon erhalten. Seit letztem Sommer arbeiten wir mit unserer Realklasse mit dem neuen Französischlehrwerk „Clin d’oeil“ und ich versuche, die Handlungsorientierung im Sinne des „konstruktivistischen Lernverständnisses“ umzusetzen. Auch freue ich mich auf das Austauschprojekt mit einer Genfer Partnerklasse im nächsten Frühling.
Nur: Das haben wir alles schon bisher umgesetzt.

Die Wirkung des Konstruktivismus steht aus meiner Sicht in Konkurrenz zur Integration durch gemeinschaftliches Lernen. Wird diese von einer starken Gemeinschaft getragen, setzt auf partnerschaftliches Lernen, so beschreibt Kersten Reich (* 14. August 1948, deutscher Pädagoge und Kulturtheoretiker) … „sei das Lernen (im Konstruktivismus) dann am effektivsten, wenn die Lernenden ihren Lernprozess umfassend selbst steuern können.“
Meine Rolle wäre dann diejenige eines Fahrlehrers, welcher gleichzeitig 20 FahrschülerInnen in ihren Fahrzeugen betreut…. Und stelle man sich vor, Othmar Hitzfeld hätte sein Team gegen Argentinien nach konstruktivistischen Grundsätzen spielen lassen.
Unser duales Bildungssystem setzt auf die „Meisterlehre“ als Gütesiegel. Dafür werden wir weltweit bewundert. Unsere Jugendarbeitslosigkeit ist unvergleichbar tief. Und mein sozial-liberales Selbstverständnis verlangt von mir, dass jeder und jede Jugendliche in unserer interkulturellen Lerngemeinschaft auch in der Realklasse seine und ihre Chance kriegt.

Das Lernen in allen Bereichen findet nach meinem Grundverständnis an der Grenze zum Unbekannten statt. Lernen im konstruktivistischen Kontext setzt Pioniergeist, Neugier und eine Methodenkompetenz voraus, welche in einem längeren Lernprozess erworben werden muss. Aus der Erfahrung mit unseren RealschülerInnen als integrierende Sammelbewegung verfügen viele von ihnen nicht über die Steuerungsfähigkeit, über die notwendige Impulskontrolle und Frustrationstoleranz und über das bildungsnahe soziale Umfeld mit den entsprechenden Vorbildern.

Der Lehrplan 21 ist kein natürlich gewachsenes Projekt mit breiter Abstützung und einer entsprechend gründlichen und transparenten Erprobung. Es versucht, unter dem Deckmantel der nationalen Koordination eine neue Schule zu verordnen. Der Schritt im Kanton Bern von der Ziel- zur Kompetenz-Orientierung scheint weniger gross als in anderen Kantonen. Von Bedeutung ist dagegen die konsequente Individualisierung auch der Verantwortung für den Lernerfolg. Diese soll aber gleichzeitig durch die Auslagerung der Evaluation eingeschränkt und beschnitten werden: Einer von vielen Widersprüchen. Die systembedingte  Kastration der „geleiteten Schule“ zugunsten der externen Bildungsbürokratie gilt als weiterer (unbeabsichtigter?) Kollateralschaden.

Im Schosse seiner Partei denkt Erziehungsdirektor Bernhard Pulver darüber nach, die Semesterevaluation  abzuschaffen. Damit werden an der Sek-Stufe 1 …
·   die durchlässigen Schulmodelle mit halbjährlicher Umstufungsmöglichkeit in Frage gestellt,
·   die Probesemester abgeschafft,
·   die Empfehlungen der Lehrpersonen für den prüfungsfreien Übertritt in weiterführende Schulen (nach dem achten und neunten Schuljahr) hinfällig, weil sie offenbar nicht aussagekräftig genug sind und wohl durch eine generelle Prüfung oder Fremdevaluation ersetzt werden,
·    mehrheitlich Jugendliche mit Entwicklungsverzögerungen oder migrationsbedingten Sprachdefiziten beim Zugang zur höheren Bildung benachteiligt.

Die Umsetzung des Projektes Lehrplan 21, wie es von der Bernischen Erziehungsdirektion geplant ist, ist überladen mit vielfältigen Auswirkungen. Diese schiessen weit über das Ziel des unbestrittenen Reformanliegens der nationalen Koordination von Schulbeginn, Dauer, Fächerkanon und Schnittstellen hinaus.

In der Vernehmlassungsbotschaft zur Bildungsstrategie 2016 schreibt Erziehungsdirektor Bernhard Pulver: „Nach verschiedenen Reformen in den vergangenen Jahren weist das bernische Bildungswesen heute gute, zweckmässige Strukturen auf. Das schafft Raum für die Schul- und Unterrichtsentwicklung auf allen Bildungsstufen. Für diesen Prozess vor Ort will die Erziehungsdirektion die nötigen Freiräume und die erforderliche Unterstützung zur Verfügung stellen“. In der Botschaft an den Grossen Rat heisst es dann gemäss Medieninformation vom 15.1.2016: Die Bildungsstrategie ist auf positives Echo gestossen“. Interessant ist einer von drei aufgeführten Handlungsschwerpunkten: „Die Bildungsstrategie 2016 übt bewusst Zurückhaltung bei der Auslösung von neuen Reformprojekten und Strukturveränderungen und strebt eine finanzielle Stabilität an“.

Die Lancierung der kantonalen Volksinitiative „Für demokratische Mitsprache – Lehrpläne vors Volk!“ wird die  Erziehungsdirektion und die Schule bei der Umsetzung dieses Anliegens unterstützen und gleichzeitig mithelfen, jährlich wiederkehrend Millionen für die Förderung der Kinder im Rahmen der heutigen Konzepte zu sichern.

Sperrfrist: 18. Januar 2016, 12.00 Uhr. Es gilt das gesprochene Wort. / Markus Dähler

Medienmitteilung


Medientext als Beilage zur Pressekonferenz vom 18. Januar 2016
Sperrfrist: 18.1.2016, 11.30 Uhr

Bern
Lancierung der kantonalen Volksinitiative
„Für demokratische Mitsprache – Lehrpläne vors Volk!“

Die IG Starke Volksschule Kanton Bern hat am Montag im Berner Rathaus ihre kantonale Initiative „Für demokratische Mitsprache – Lehrpläne vors Volk!“ vorgestellt. Das überparteiliche Komitee will bis anfangs Juli 15‘000 Unterschriften sammeln.

pd. Zum Schluss ging alles ganz schnell: Nachdem der Bernische Grosse Rat im November 2015 Mehrkosten von jährlich 22 Mio. für den Kanton und knapp 10 Mio. Folgekosten für die Gemeinden durchgewinkt hatte, entschlossen sich die Initianten zur Lancierung einer kantonalen Volksinitiative. Der Grosse Rat soll die Möglichkeit erhalten, zur Einführung des Lehrplan 21 Stellung zu nehmen und allenfalls korrigierend einzuwirken. In der aktuellen Fassung des Bernischen Volksschulgesetzes ist der Erziehungsdirektor befugt, über Lehrplaneinführungen selber zu beschliessen.
Patrick Freudiger als juristischer Berater des Initiativ-Komitees erläuterte die Rechtmässigkeit des gewählten Vorgehens. So sei es legitim, den laufenden Inkraftsetzungsprozess zu unterbrechen, um die parlamentarische Debatte zur Sache, nach Annahme der Initiative, breit abgestützt führen zu können.
Rahel Gafner als Mutter und Präsidentin der IG Starke Volksschule Kanton Bern erklärte den Einspruch der betroffenen Eltern zur geplanten konstruktivistischen Methodik, welche insbesondere die bildungsschwächeren Kinder überfordert und im Widerspruch steht zu den Forschungsergebnissen von John Hattie. Markus Dähler führte als betroffener Reallehrer (Oberstufenklasse) die finanziellen Konsequenzen an, für ein Projekt ohne Konzept und mit umstrittenem Mehrwert. Die massive Kostensteigerung für die Gemeinden hat auch Gemeindepolitiker zur Kritik veranlasst. Dähler sieht auch die Errungenschaften der Integration und Gemeinschaftsbildung gefährdet, wenn der Paradigmenwechsel zur ungezügelten Individualisierung umgesetzt werden sollte.

Das siebenköpfige überparteiliche Komitee wird von einem Unterstützungskomitee mit zahlreichen Persönlichkeiten aus Politik und Wissenschaft unterstützt. Diese tragen die Anliegen der Initianten in den ganzen Kanton hinaus. Ab Donnerstag, 22.1.2016 sind sie unterwegs. Mitte Juli soll die Initiative eingereicht werden.

Auskunft und weitere Infos:
Rahel Gafner, 033 841 11 72 / 077 480 52 05  /   info@starkevolksschulebern.ch oder www.lehrplan21.be
Peter Freudiger, Rechtsanwalt, Waldhofstrasse 58A, 4900 Langenthal, 079 723 29 52, p.freudiger@besonet.ch


(Pressetext zur freien Verfügung: 2400 Zeichen)